Spaß gemacht hat es nicht, den Artikel „Das Tablet in der Anwendung als digitales Sprachausgabegerät“ (uk&forschung_10/2020) zu lesen, aber der Untertitel weckte eben doch mein Interesse: „Zwei Einzelfallstudien zur kommunikativen Nutzung an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung“. Vor allem der Förderschwerpunkt weckte mein Interesse, denn seit diesem Schuljahr, also noch nicht lange, mache ich mit einer Therapeutenkollegin eine Talkergruppe an einer Schule mit diesem Förderschwerpunkt. Das „Ding“ ist noch so neu, dass wir auch noch nicht über einen alternativen Namen gesprochen haben. Kommunikation ist mir schon immer sehr wichtig gewesen in meiner Arbeit und auch im Gespräch mit den Eltern stellt sich „Sprache“ immer als ein Schwerpunkt heraus. Es ist den Eltern verständlicherweise wichtig, ihr Kind zu verstehen und sich ihrem Kind verständlich zu machen.
Die Versorgung mit elektronischen Sprachausgabegeräten erschien mir eine gute Sache und ich scheute mich nie davor, diese zu beantragen. Ich habe mich immer wieder gefragt, wieso die Kinder die Geräte nicht aus eigenem Antrieb benutzen. Ich weiß um die Wichtigkeit des Modelns, aber am Ende ist es in der Regel zu wenig, was gemodelt wird, vergleicht man es mit der Verbalsprache als Muttersprache. Die Kinder reagieren auf Aufforderungen oder Fragen aber selten nutzen sie die Kommunikationshilfe aus eigenem Antrieb. Was steckt dahinter? Ich erhoffte mir aus der Lektüre des Artikels ein paar Erkenntnisse und Anregungen.
Ich mutmaßte immer: Liegt es an den kognitiven Voraussetzungen? Andere Kinder, die über Verbalsprache verfügen, nutzen diese aber doch auch aktiv trotz ihrer kognitiven Voraussetzungen. Liegt es am Autismus? Der kann einem schon ein sprichwörtliches Bein stellen im Hinblick auf soziale Interaktion und Kommunikation. Eine andere Idee, war natürlich das fehlende Modelling – oder das zu wenige Modelling. Wie sollten diese Kinder denn lernen mit ihren UK-Hilfen zu kommunizieren, wenn sie keine Vorbilder haben?!? Und eines von mehreren Fazits des Artikels ist genau das: „UK mit dem Tablet benötigt Sprachvorbilder“ (S. 44). Also: modeln, modeln, modeln. Das ist aber gar nicht so einfach, weil es eben Zeit braucht und eine enge Begleitung.
Aber langsam. Der Artikel beschreibt zwei (Einzelfall-) Studien. Entsprechen viele Prozentzahlen und Zahlen sind in ihm zu finden und damit möchte ich euch nicht behelligen. Die Zusammenfassung lautet:
„Das Benennen von Personen, Handlungen und Gegenständen galt als häufigste kommunikative Absicht.“ (S. 36) Das entspricht auch meiner Erfahrung, die ich nicht mit Prozentzahlen belegen kann. Das Nutzungsverhalten wird als „eher reaktives und wenig flexibles Nutzungsverhalten“ beschrieben (ebd.). Auch das kann ich ohne es belegen zu können unterschreiben. Und meistens „… wurde mit Begleitpersonen kommuniziert, während mit Lehrkräften und Mitschülern nur sehr wenig Kommunikationsereignisse verzeichnet werden konnten.“ (ebd.)
Mir fiel dann eine Fortbildung ein, die ich zum Thema „erste Schritte in der Unterstützten Kommunikation“ besucht habe. Ziel aller Bemühungen sollte, noch bevor an Hilfsmittel gedacht werden kann, die Triangulierung sein. Und das Komplexe an der UK ist ja gerade, dass zu dieser Triangulierung noch das Hilfsmittel kommt. Es kommt also eine weitere Ebene hinzu, die das ganze verkompliziert.
Auf dem Weg zur Triangulierung spielt zunächst die Person die wichtigste Rolle: Die Bedeutung der Gemeinschaft zu spüren indem sie als etwas Freudiges erlebt wird, die Aufmerksamkeit zu lenken in Richtung Person/Gesicht, die Nähe zu spüren und zu genießen, Interaktion erfahren und lernen, ebenso wie Prinzipien der Kommunikation (Blickkontakt, Aufmerksamkeit, …). Zu erkennen, dass das, was man tut, einen Effekt hat. All das sind Dinge, die „gesichert“ sein müssen. Möglichkeiten, diese Ziele zu erreichen gibt es viele, ein Beispiel ist die Intensive Interaction nach Dave Hewett oder das DIR®/Floortime ™ Modell nach Greenspan, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Nach „Ich und du“ folgt „Ich und das Objekt“. Hier ist, neben umfänglicher Umwelterfahrung die Objektpermanenz als Meilenstein in der Entwicklung hin zur Kommunikation zu nennen. Ohne die Objektpermanenz ist es nicht möglich Symbole als Stellvertreter für Gegenstände oder gar abstrakte Begriffe zu verwenden. Aber es geht auch darum die Konzentrationsphase zu verlängern und gezielt Gegenstände zu manipulieren. Die Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Voraussetzung um kommunizieren zu können.
Erst wenn auch diese Ebene „gesichert“ ist, kann eine Triangulierung stattfinden. Und im Grunde erst dann eine Kommunikationshilfe sinnvoll und effektiv eingesetzt werden. Dabei sollte sich der Kommunikationspartner und die Bezugspersonen darüber im Klaren sein, dass sie die Kommunikationshilfe selber nutzen müssen. Man darf sich immer wieder klar machen, welche Funktionen Kommunikation hat. Es geht um mehr als lediglich Bedürfnisse mitzuteilen oder etwas zu fordern. Es geht auch um Ablehnung, Kommentieren, Meinungen und Gefühle äußern, etwas erzählen, soziale Kontakte zu pflegen und und und. Hier gibt es einen kleinen Überblick in Form eines Videos:
Das macht es doch irgendwie auch einfacher, Situationen zu erkennen um zu modeln, oder?
Mich haben ein paar Zahlen erschreckt, die ich euch doch gerne nennen möchte. In 6 Wochen (Schulwochen, als bei 5 Tagen pro Woche macht das 30 Tage) wurden 136 bzw. 112 Kommunikationssituationen bei den beiden Schülern festgestellt. Das macht durchschnittlich pro Tag 4,5 bzw. 3,7 Kommunikationssituationen. Runden wir auf 5 und 4 auf und finden die Mitte sind das 4,5 pro Tag. Vergleichen wir also das Modeln nicht mit der Verbalsprache als Muttersprache, sondern nehmen wir den Wert von 4,5, dann sollte das zu toppen sein, oder?!?
Ich wünsche euch viel Freude dabei.